Mit Wanda Marasco tritt eine dem deutschsprachigen Publikum noch wenig bekannte Stimme auf die Bühne. In Berlin stellte sie ihren Roman Am Hügel von Capodimonte vor und ich hatte die Aufgabe, diese feinsinnige und charismatische Autorin aus Neapel zu dolmetschen. Im Roman erzählt Rosa das Leben ihrer Mutter Vincenzina, einer Analphabetin aus Kampanien. Im Süditalien der Nachkriegszeit besteht für Frauen wie sie die einzige Chance auf ein besseres Leben in einer Heirat mit einer „guten Partie“, also einem Mann mit einer festen Arbeit, „un uomo con il posto fisso“. In so einen verliebt sie sich, aber die zukünftige Schwiegermutter möchte die Heirat verhindern und bietet ihr dafür sogar Geld an, was so auch ihrer eigenen Mutter passiert sei, sagt Marasco. Mit erstaunlicher poetischer Wucht verhandelt die auch als Lyrikerin bekannte Autorin Frauenschicksale jener Jahre, so wie das von Iolanda, die ihre Schönheit wie eine Schuld zu tragen hat. Als sie sich in den Falschen verliebt, sperrt man sie in einer Anstalt weg, die sie krank werden lässt. Und natürlich spielt auch Neapel in Marascos dichter und vielschichtiger Prosa eine Rolle. Der tote Körper der Mutter wird zum Sinnbild für die Stadt und Italiens Süden, für dessen Schönheit und Zerfall. Das bringt die Sprache auf Scampia, dem Teil Neapels, der durch Savianos Gomorra berühmt berüchtigt wurde, und wo auch Marasco an einer Berufsschule unterrichtet hat. Warum sie nicht darüber schreibe, fragt der Moderator Luigi Reitani. „Auch wenn man die besten Absichten hat, ist man nicht vor medialer Ausschlachtung gefeit. Todschlag und Korruption verkaufen sich und das wollte ich nicht, das finde ich nicht richtig“. An einem Ort wie Scampia, der Jugendlichen so wenige Perspektiven biete, führe solch mediale Aufmerksamkeit zur Glorifizierung von Gewalt und Kriminalität, meint die Autorin zu mir noch nach der Lesung.
Am Hügel von Capodimonte (2018), Übersetzung von Annette Kopetzki, erschienen bei Hanser Literaturverlage.